Wofür steht ASMR?

ASMR ist eine Abkürzung für „Autonomous Sensory Meridian Response“ und beschreibt die Erfahrung eines angenehmen Gefühls im Körper, das durch bestimmte Sinnesreize ausgelöst wird. Viele Menschen nutzen ASMR als Entspannungstechnik.

Was sind ASMR „Trigger“?

Meist sind Geräusche wie sanftes Flüstern oder Haare bürsten die Auslöser von ASMR-Erlebnissen – aber auch damit verbundene visuelle Reize spielen eine wichtige Rolle.

Was sagt die Wissenschaft zu ASMR?

Die Forschung steht momentan noch am Anfang. Einige Studien bestätigen jedoch, dass die Videos beruhigend wirken und beim Einschlafen helfen können.

Was ist ASMR?


Obwohl das Phänomen vermutlich schon länger existiert, verhalf ihm erst das Internet zu größerer Bekanntheit: Im Jahr 2007 tauschten sich Nutzer in Onlineforen über ein — damals noch namenloses — Erlebnis aus, welches sie bei bestimmten Geräuschen wie Flüstern oder dem Entfalten einer Zeitung verspüren. Die meisten empfanden das Gefühl als sehr befriedigend und angenehm.1 Kurze Zeit später etablierte sich dafür die Bezeichnung Autonomous Sensory Meridian Response (deutsch: autonome, sensorische Meridianantwort) sowie die Abkürzung ASMR.

Interessant!

Der ASMR-Trend hat sich vor allem im englischsprachigen Internet über die Plattform YouTube rasant verbreitet. Die bekanntesten Videos wurden millionenfach aufgerufen.2 Und auch im deutschsprachigen Raum erfreuen sich ASMR-Inhalte mittlerweile großer Beliebtheit.

Das Ziel von ASMR ist es, mithilfe verschiedener Sinnesreize ein "Kribbeln im Kopf" beziehungsweise einen "Gehirnorgasmus" auszulösen. In der ASMR-Gemeinschaft wird dieses Gefühl, dass wie sanfte elektrostatische Entladungen beschrieben wird, auch als "Tingle" bezeichnet. Typischerweise beginnt es auf der Kopfhaut, kann sich aber entlang des Nackens bis in den Schulterbereich ausbreiten.3

Auf die Frage, weshalb sie sich ASMR-Videos anschauen, nannten Teilnehmer einer Studie von Barrat und Davis (2015) vor allem folgende Gründe:3

Zur sexuellen Erregung werden die Videos hingegen nur sehr selten verwendet.3

Jedoch können nicht alle Menschen Tingles erleben. Wie viele dabei ein Kribbeln verspüren, ist bisher noch nicht bekannt. Aufgrund kleinerer Umfragen wird jedoch vermutet, dass etwa 50 Prozent aller Menschen für ASMR empfänglich sind.4

Welche Trigger bringen die Kopfhaut zum Kribbeln?


Ein ASMR-Effekt wird durch verschiedene Auslöser, sogenannte Trigger, verursacht. Zu den häufigsten gehören:3

  • Flüstern oder Reden mit sanfter Stimme ("Whispering"): Der Inhalt kann dabei sehr unterschiedlich sein. Manchmal werden beispielsweise Geschichten vorgelesen, die Stimme muss aber nicht unbedingt verständlich sein ("Inaudible Whispering").
  • bestimmte Geräusche: Sehr weit verbreitet ist darüber hinaus das Erzeugen von Audio-Signalen durch Kratzen oder Klopfen ("Tapping" oder "Scratching") auf verschiedenen Gegenständen wie Plastikflaschen oder Holzstücken. Ebenso wird das Bürsten von Haaren ("Brushing") oder Knistern mit Folie als angenehm empfunden.

Alternative zu ASMR?

Gehören Sie zu den Personen, die mit ASMR leider gar nichts anfangen können? Dann hilft Ihnen vielleicht eine andere Technik zur Stressreduktion!

  • persönliche Aufmerksamkeit und Zuwendung: Zudem verbinden viele YouTuber ihre Videos mir Rollenspielen. Beispielsweise wird oft ein Besuch in einer Arztpraxis oder in einem Wellnesshotel nachgeahmt. Der Zuschauer wird direkt angesprochen und soll das Gefühl haben, dass er selbst untersucht beziehungsweise verwöhnt wird, und sich jemand um ihn kümmert.
  • beruhigende Handbewegungen: Hoch im Kurs stehen ebenfalls sanftes Streicheln über den Rücken, Spielen mit Haarsträhnen oder das Massieren von Schultern oder Händen.

Die Wahrnehmung von ASMR-Auslösern ist sehr unterschiedlich. Bestimmte Geräusche, die manche Personen als angenehm empfinden, nehmen andere womöglich als sehr störend wahr.

Aha!

Schon der Maler Bob Ross in seiner kultigen TV-Sendung „The Joy of Painting“ versetzte ganze Generationen in meditative Zustände. Indem er seine Bilder zeichnete und dabei mit einer ruhigen und sanften Stimme sprach, erfüllte er – wenn auch unbewusst – die Kriterien der heutigen ASMR-Videos und half vielen Menschen beim Entspannen und Einschlafen.

Entspannung durch ASMR? Probieren Sie es doch mal aus!


Um sich besser vorstellen zu können, was ASMR genau ist, haben wir hier ein Video für Sie. Setzen Sie am besten Ihre Kopfhörer auf:

Wichtig: Es gibt eine Vielzahl an ASMR-Videos im Internet. Am besten Sie probieren verschiedene aus, auch um herauszufinden, welche Trigger etwas in Ihnen auslösen. Am besten Sie überlegen zudem, was Ihre persönlichen Vorlieben sind. Mögen Sie es beispielsweise, wenn Ihnen jemand die Haare kämmt? Dann könnten Videos, in denen ein Friseurbesuch nachgespielt wird, eventuell geeignet für Sie sein.

ASMR: Was weiß die Forschung bisher über das Phänomen?


Warum ASMR viele Menschen entspannt, ist bisher noch nicht genau bekannt. Die Forschung steht hier noch am Anfang. Eine Studie der Psychologin Emma Barrett und ihrem Kollegen Nick Davis aus dem Jahr 2015 legt jedoch nahe, dass ein Zusammenhang zur Synästhesie bestehen könnte.3 Dabei handelt es sich um eine Vermischung von Sinneswahrnehmungen. Menschen mit dieser Fähigkeit, sogenannte Synästheten, verknüpfen beispielsweise Buchstaben oder Zahlen mit Farben.5 Die Zahl 2 kann für sie dann rot, die 5 grün erscheinen. Andere Synästheten schmecken wiederum Tonintervalle. Hören sie eine kleine Terz, verspüren sie auf der Zunge zum Beispiel einen salzigen, bei einer Quarte einen sahnigen Geschmack.

Tatsächlich konnte in einer – leider nur sehr kleinen und daher wenig aussagekräftigen – Studie mithilfe von Hirnscans festgestellt werden, dass bei Menschen, die ASMR erleben, bestimmte Hirnregionen stärker verknüpft sind. Vor allem das Default Mode Network (DMN), auf Deutsch Ruhezustandsnetzwerk, ist stärker aktiv.6 Diese Gruppe von Hirnregionen springt normalerweise dann an, wenn der Mensch keiner speziellen Aufgabe nachgeht und das Gehirn in den Ruhemodus schaltet. Und auch Tagträumen, Zukunftsplanungen und Kreativität werden mit dem Ruhezustandsnetzwerk in Verbindung gebracht.

In einer weiteren Studie konnten zudem körperliche Reaktionen nachgewiesen werden: Beim Schauen der Entspannungsvideos sank die Herzfrequenz von Probanden – ASMR beruhigt also. Interessant ist außerdem, dass sich die Hautleitwerte der Teilnehmer gleichzeitig erhöhten. Dies deutet darauf hin, dass die Personen (nicht sexuell) erregt, aber gleichzeitig emotional entspannt waren.7

Hat ASMR einen klinischen Nutzen?

Tatsächlich zeigen einige Studien, dass ASMR auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen einen positiven Effekt haben kann. So zeigte die Studie von Barratt und Nick (2015), dass der Konsum von ASMR-Inhalten auch bei Menschen mit Depressionen zu einem Stimmungsanstieg führte, der über einige Stunden anhielt. Je schwerer die Depression, desto größer der Stimmungssprung.3 Um wissenschaftlich abgesicherte Aussagen darüber zu treffen, ob ASMR auch zur unterstützenden Therapie bei depressiven Erkrankungen sinnvoll ist, sind jedoch weitere Studien nötig.

Fazit: Das bringt der Kribbel-Trend


Das Phänomen hinter ASMR ist an sich nichts Neues: Schon vor dem Internet gab es Geräusche wie sanftes Regenprasseln, die viele Menschen als angenehm empfanden. Aufgrund des beschleunigten Lebenswandels nehmen sich viele Menschen jedoch kaum mehr Zeit, bewusst solche Wahrnehmungen in sich aufzunehmen. ASMR stellt die "Magie von Alltagsgeräuschen" wieder in den Fokus. Wenn einige Menschen davon profitieren und mithilfe der Videos nach einem anstrengenden Tag besser zur Ruhe kommen oder Einschlafen, ist dies als sehr positiv zu bewerten.

Allerdings ist ASMR nur eine Entspannungsmöglichkeit von vielen. Ähnlich beruhigend wirken auch Fantasiegeschichten, ein Spaziergang an der frischen Luft oder autogenes Training. Kritisch zu beurteilen sind zudem Aussagen in manchen Videos. Einige ASMR-YouTuber behaupten beispielsweise, dass ASMR auch Depressionen, Ängste oder Schlafstörungen heilen könnte. Damit sollte man jedoch vorsichtig sein, denn psychischen Erkrankungen beruhen meist auf tieferliegenden Problemen, die eine psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlung benötigen. Dennoch spricht nichts gegen eine ergänzende Anwendung – vor allem, wenn sich Menschen dadurch besser fühlen.

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Miriam Müller Aufgewachsen in einer Familie aus Krankenschwestern und Journalisten, interessierte sich Miriam Müller bereits sehr früh für die Themen Medizin und Medien. Nach verschiedenen Praktika im journalistischen Bereich – unter anderem bei der Deutschen Welle in Washington D.C. – absolvierte sie erfolgreich ihr Masterstudium Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Miriam Müller Medizinredakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin kanyo® mehr erfahren
Quellen anzeigen
  • 1ASMR University: History of ASMR. URL: https://asmruniversity.com/history-of-asmr/ - Stand (31.03.2020)
  • 2Das Video zu der Suchanfrage „ASMR“ hatte am 31.03.2020 über 88 Mio. Aufrufe. URL: https://www.youtube.com/watch?v=J4oNoxHt4TY - Stand (31.03.2020)
  • 3Barratt, Emma / Davis, Nick: Autonomous Sensory Meridian Response (ASMR): a flow-like mental state. In: PeerJ 2015; Nr. 3, S. 851.
  • 4Poerio, Gulia: Could Insomnia Be Relieved with a YouTube Video? The Relaxation and Calm of ASMR. In: Callard F, Staines K, Wilkes J (Hrsg.): The Restless Compendium: Interdisciplinary Investigations of Rest and Its Opposites. Basingstoke: Palgrave Macmillan; 2016. S.119-129.
  • 5Banissy, Michael / Jonas, Clare / Kadosh, Roi Cohen: Synesthesia: an introduction. In: Frontiers in Psychology, 2014. URL: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2014.01414/full - Stand (30.03.2020)
  • 6Smith, Stephen / Fredborg, Beverley / Kornelsen, Jennifer: An examination of the default mode network in individuals with autonomous sensory meridian response (ASMR), In: Social Neuroscience 2017, Ausg. 17, Nr.4, S.361-365.
  • 7Poerio, Gulia u.a.: More than a feeling: Autonomous sensory meridian response (ASMR) is characterized by reliable changes in affect and physiology. In: Plos One 2018, S. 1-18.